Sujetfindung und Bängg – Die Vorfasnacht aus einem anderen Blickwinkel

«Der Keenig vo Basel» bei der Hauptprobe und der Zeedel in seiner Reinform. Zwei Aspekte der Basler Vorfasnacht.

Für die Einen beginnt es bereits nach der Fasnacht wieder, während die anderen sich lieber etwas Zeit lassen. Die Basler Vorfasnacht ist äusserst gross und vielfältig. Deshalb werden oft die kleineren Veranstaltungen übersehen. Zwei davon werden hier beleuchtet.

Vorfasnacht. Ein Wort, das tief im Sprachgebrauch der Fasnächtler verankert ist und ihnen sehr leicht über die Lippen kommt. Doch wie definiert sich diese Vorfasnacht überhaupt? Eine Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Denn der Start der Vorfasnacht liegt im Ermessen eines jeden Einzelnen. Und ist auch abhängig davon, inwiefern die Personen in die Fasnachtsvorbereitungen eingebunden sind. 

Bei uns in der Clique, dem Dupf-Club Basel, lässt sich dies sehr gut beobachten. Für die Sujetkommission, von der ich ein Mitglied bin, beginnt die Vorfasnacht bereits im Frühling nach der Fasnacht. Ganz nach dem Motto: Nach der Fasnacht ist vor der Fasnacht. Wir tragen die Verantwortung für die Ausarbeitung des Themas, welches im kommenden Jahr ausgespielt wird. Wir sammeln untereinander Ideen und entscheiden uns dann für eine. Was hat die Stadt oder die Welt bewegt? Wie kann man das ausspielen? Ein Prozess, der bis in den Herbst andauert.

Im Oktober findet die erste Aktivensitzung mit der gesamten Clique statt. Dort stellen wir das Sujet vor: Die Junge Garde, die sechs bis 18-Jährigen unserer Clique, läuft unter dem Titel «Kumm mit mir nach Fantasia». Eine Anspielung auf die in Basel stattfindende Cosplay-Expo Fantasia, die wie die Fasnacht drei Tage dauert. Unsere Idee dahinter: Will dieser Event, bei dem sich die Menschen ja auch kostümieren und maskieren, der Fasnacht etwa den Rang ablaufen?

Die richtige Arbeit beginnt

Das Sujet wird von der Clique mit grossem Applaus angenommen. Und für uns beginnt jetzt die eigentliche Arbeit. Wie soll der ganze Zug aussehen? Wie wird die Laterne umgesetzt? Und wie wird das Sujet auf dem Zeedel wiedergegeben? Dort wird innerhalb der Sujetkommission jedem ein Amt zugeteilt. Der Larvenverantwortliche stellt die Larven mit den Kindern zusammen her und bemalt sie.

Larven in Bearbeitung (oben) und bereits fertiggestellte Larven (unten).

Für das Kostüm haben wir eine externe Schneiderin. Wir fertigen Skizzen an, wie wir uns das Kostüm vorstellen. Die Kinder müssen zur Schneiderin, um Mass zu nehmen. Es wäre ja schade, wenn jemand nicht in sein Kostüm passen würde. Unterdessen erhalten wir von ihr Stoffmuster. Ein entscheidender Moment, denn nun wird klar, wie unsere Jungs an der Fasnacht auf die Gasse gehen.

Die Stoffmuster sind bei uns angekommen und abgesegnet. Nun können die Kostüme entstehen.

Ein rundes Paket

Die Laterne wird von einer professionellen Künstlerin gemalt. Ihre Aufgabe ist es, das Sujet in Bildform auf die Leinwand zu bringen. Eine sehr wichtige Aufgabe: Denn es ist die Laterne, die an der Fasnacht als erstes auffällt. Hierbei ist es ebenfalls wichtig, dass die Künstlerin und ich eng zusammenarbeiten. Denn was auf der Leinwand steht, das sollte auch in etwa auf dem Zeedel stehen. Gemeinsam mit den Larven und Kostümen entsteht so ein rundes Paket, das an der Fasnacht präsentiert werden kann. Ein Paket, in dem sehr viel Liebesmühe, Zeit und Arbeit steckt.

Meine Hauptaufgabe besteht darin, den Zeedel zu verfassen. Der Sinn dahinter: Ich stelle das Sujet in Reimform vor. Der Vortrab, das sind die Menschen, die vor der Laterne laufen, verteilen die Zeedel an der Fasnacht an Schaulustige. Wie viele davon im Umlauf sind, ist schwierig zu sagen. Die 35 Stammcliquen alleine lassen schätzungsweise mehrere 10’000 Zeedel produzieren. Der Boden an der Fasnacht ist Zeitweise kaum mehr sichtbar vor lauter Zeedel. Es sind sehr viele. Dies in einer Zahl festzuhalten ist aber fast unmöglich.

Das Zeedel-Schreiben ist ein Prozess, der mich ab der ersten Aktivensitzung im Oktober bis kurz vor der Fasnacht begleitet. Denn ab dem Moment, wo ich das Sujet kenne, mache ich mir Gedanken über die Umsetzung. Als ersten Schritt mache ich eine Auflistung von verschiedenen Richtungen, in die der Zeedel gehen könnte. Dafür benutze ich die Notizen-App meines Handys.

Abendliche Session beim Zeedel-Schreiben.

Gegen Ende des Jahres entscheide ich mich für eine meiner Skizzen. Ich persönlich schreibe frei von der Leber weg. Der Zeedel entwickelt sich bei mir während des Schreibens. So baue ich die Geschichte auf. Meistens sind es bei mir Strophen à vier Zeilen. Insgesamt umfasst mein Zeedel etwa achtzig Zeilen. Das Schreiben ist auch immer ein Akt der Balance. Denn der Zeedel sollte kinderfreundlich aber gleichzeitig auch bissig sein. Mir ist es immer sehr wichtig, dass sich die Kinder mit dem von mir Geschriebenen auch identifizieren können. Mit der Künstlerin stimme ich den Zeedel auf die Laterne ab. Der Abschluss des Zeedels ist sogleich auch mein Markenzeichen: Die letzte Zeile ist immer ein Seitenhieb gegen den Kanton Zürich. An der Fasnacht ein beliebtes Stilmittel.

Das Warten auf den lang ersehnten Moment

Rund einen Monat vor der Fasnacht steht der Zeedel und wird der Clique vorgetragen. Was folgt, ist die Feinarbeit. Gegengleichen mit dem Baseldeutsch-Wörterbuch und der letzte Schliff an Reimform und Endungen. Eine Woche nach dem Vortrag ist der Zeedel nun bereit für den Druck. Damit es nicht nur etwas zum Lesen, sondern auch zum Hören gibt, nehmen wir ihn noch auf. Nun heisst es nur noch: Warten auf den schönsten Moment. Endlich, endlich, eine Woche vor der Fasnacht ist der Zeedel druckfrisch in meinen Händen. Das erfüllt mich immer mit grossem Stolz. Wer an der Fasnacht einen Zeedel erhält, kann den QR-Code scannen und mir beim Vorlesen zuhören:

Die Aufnahme von «Kumm mit mir nach Fantasia».
Was für ein Moment. Ich halte den selbst geschriebenen Zeedel zum ersten Mal in der Hand. (Symbolbild)

Aus Sicht der Clique sieht die Vorfasnacht so aus. Doch was machen andere, ebenso wichtige Teile der Fasnacht kurz davor? Zum Beispiel die Schnitzelbängg. Sie lassen an der Fasnacht in Versform singend das vergangene Jahr Revue passieren. 97 Schnitzelbängg gehören offiziellen Organisationen an. Dazu kommen noch die Wilden, welche auf eigene Faust durch die Cliquenkeller der Stadt touren. Da sie wild sind und einfach so entstehen können, ist es schwierig, eine genaue Anzahl zu nennen.

Schauen wir doch einmal beim Schnitzelbangg «Der Keenig vo Basel» rein. Es herrscht fasnächtliche Stimmung in der «Braubude» im Klybeck-Quartier. Denn heute sind die Menschen nicht wie sonst wegen des guten Bieres hier. Heute wollen sie den «Keenig vo Basel» singen hören. Der Schnitzelbangg, ein wilder, hat an diesem Samstag seine «Stuubete». Diese Events nutzen die Bängg immer, um ihre Verse ein erstes Mal vor Publikum präsentieren zu können. Der Moment der Wahrheit also. In zwei Tagen müssen die Verse sitzen und die Pointen stehen. Dann beginnen die «drey scheenschte Dääg», die Fasnacht, nämlich. Und wie jedes Jahr hat der «Keenig» zwei Tage vor dem Ernstfall ein sehr knappes Zeitfenster berechnet.  

Neue Frisur für den Helgen

Der «Keenig vo Basel», das sind im Normalfall drei Schnitzelbänggler und eine Schnitzelbängglerin, bestehend aus dem König, der Prinzessin, dem Ueli mit der Ukulele und dem Helgenträger. In diesem Jahr sind sie aufgrund der Schwangerschaft der Prinzessin nur zu dritt unterwegs. Wir geben uns im Publikum zu Beginn noch ein wenig verhalten, das Zusammenspiel und die Pointen sitzen noch nicht ganz. Doch je länger dieser Nachmittag dauert, desto besser kommt das Trio in Form. Neben Fifa-Präsident Gianni Infantino kriegt auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga ihr Fett weg, gar ihr berndeutscher Dialekt wird imitiert. Unser Tisch ist sich einig: Das war der beste Vers bisher. Doch wir werden noch einmal positiv überrascht. Die Höhepunkte des Nachmittags: Der vom Baselbieter-Lied stammende Vers und die Umwandlung von «Z‘ Basel an mim Rhy». Der ganze Raum singt mit. Natürlich, denn wir alle kennen jedes Wort seit Kindesbeinen. Unter tosendem Applaus verlassen die Drei den Raum, nur um kurz darauf für die Bewertung zurückzukehren.

Trump oder doch Föhnfrisur? Dieser Helge muss noch einmal überarbeitet werden.

Wir sind kritisch, diskutieren und geben Verbesserungsvorschläge. Das Set muss umgeplant werden, da wir den ersten Vers als zu schwach empfunden haben. Denn wie so oft im Leben gilt: Der erste Eindruck zählt. Der zweite Vers, den wir als viel pointierter betrachten, wird unserer Meinung nach das Publikum im Ernstfall viel mehr packen. So arbeiten wir uns von Vers zu Vers durch, bis das Set steht. Auch ein Helge, die grosse Zeichnung, die das Thema präsentiert, wird kritisiert. Ein normaler Junge sieht wie Donald Trump aus. Beim Vers geht es aber gar nicht um den ehemaligen US-Präsidenten. Das haben wir aber alle erwartet. Nun müssen die beiden kleinen Töchter des Ukulele spielenden Uelis noch einmal über die Zeichnung und dem Jungen die Föhnfrisur entfernen. Sie sind nämlich für die Zeichnungen verantwortlich. In Basel hat es Tradition, dass zumeist die ganze Familie in die Fasnachtsvorbereitungen involviert ist.

Der kam richtig gut an! Das Publikum freut sich in der Nachbesprechung über den Vers.

Die beiden Basler Hymnen finden bei uns den grössten Anklang. Unsere Zustimmung signalisiert deutlich: An der Fasnacht müssen sie mit diesen Versen enden. Denn was gibt es Schöneres als ein mitsingendes Publikum zum Ende einer Vorstellung. Bei einem Glas Waggis (Weisswein mit Tonic Water) und einer Fastenwähe tauschen wir noch fasnächtliche Geschichten aus. Die Vorfasnacht, sie geht nun langsam zu Ende. Und das Kribbeln im Bauch signalisiert mir: Nicht mehr lange und dann heisst es wieder «Morgestraich! Vorwärts! Marsch!».

Mit diesem Bild im Kopf sitze ich in der Braubude und freue mich auf den Morgestraich.