Vor 150 Jahren wurden 87000 Soldaten der französischen Armee in der Schweiz interniert. Auch die Region beherbergte die Bourbakis.
Der Winter im Neuenburger Jura ist ätzend. Klirrende Kälte, eisige Winde und Temperaturen unterhalb des Erträglichen durfte auch der Autor dieses Textes während seiner Militärzeit ertragen. Mit heutiger Ausrüstung ist es verglichen zu früheren Zeiten aber gerade ein wohliges Dasein. Man muss sich nur vorstellen, wie sich die rund 87000 französischen Soldaten gefühlt haben, als sie während des Deutsch-Französischen Krieges zwischen dem 1. und 3. Februar 1871 die Grenze zur Schweiz in der Romandie überquerten. Es war ein grässlicher Winter.
Die Truppen von General Charles Denis Soter Bourbaki, nach dessen misslungenem Selbstmordversuch von General Justin Clinchant angeführt, sahen den einzig möglichen Ausweg in der Flucht in die Schweiz. Zuvor wurden sie bei Belfort, das sie hätten befreien sollen, von deutschen Streitkräften geschlagen und mussten gegen Hunger und Kälte ankämpfen. Die zusätzliche Einkesselung durch die deutschen Truppen verleitete Bourbaki zum Selbstmordversuch, um seiner Amtsenthebung zu entkommen.
Fortan leitete General Clinchant die Geschicke der Franzosen. Die Soldaten zogen in Richtung Schweiz, wo sie um militärisches Asyl baten. Dieser Bitte kam der Bundesrat nach, am 28. Februar unterschrieb General Hans Herzog den Vertrag von Les Verrières. Damit konnten sich in den ersten drei Februartagen des Jahres 87000 französische Soldaten mit 12000 Pferden in Sicherheit bringen. Völlig entkräftet und ausgezehrt wurden sie in den folgenden Tagen, nachdem sie vollständig entwaffnet und interniert waren, in der ganzen Schweiz verteilt.
So geschehen auch in der Region Basel. An den beiden Standorten Basel und Liestal fanden insgesamt 2834 Soldaten Zuflucht. Das kleine Liestal nahm damals 1411 «Bourbakis» auf, wie sie von den Schweizern liebevoll genannt wurden. Basel nahm 1423 Soldaten auf, was bei der damaligen Bevölkerungszahl von rund 45000 Bewohnern eher wenig war. Der Stadt Zürich wurden, um einen Vergleich zu schaffen, bei 56700 Einwohnern um die 3500 Soldaten zugewiesen. Am Bahnhof SBB beobachteten Hunderte Baslerinnen und Basler wortlos und mit einer gewissen Ratlosigkeit, wie die historischen Quellen beschreiben, die Ankunft der Soldaten.
Den Soldaten, die nichts mehr hatten, musste nicht nur Obdach gewährt werden. Auch für Ernährung, Kleidung, medizinische Versorgung und Unterhaltung musste gesorgt sein. Und über allem stand ein grosses Ziel: Der Aufenthalt der Internierten sollte in einem möglichst humanen Rahmen ablaufen. Dass die Schweiz dieses Ziel erreichte, lag an verschiedenen wichtigen Säulen. Einerseits war es das unbürokratische Vorgehen der Schweizer Politik, die zudem sehr schnell handelte.
Auch die Schweizer Bevölkerung trug einen grossen Teil zum reibungslosen Ablauf der Situation bei. Sie nahm sich der Soldaten an und unterstütze sie, wo sie nur konnte. Zusätzlich zur menschlichen Hilfe war auch die monetäre gefragt. Dank zahlreicher Spenden konnte die Beherbergung der Soldaten relativ einfach durchgeführt werden. Ein letzter und auch wichtiger Pfeiler war die humanitäre Hilfe, die das Schweizerische Rote Kreuz zum ersten Mal sicherstellte.
Zeitzeugen berichten vom Theologen und Armenpfleger Martin Birmann, der sich in der Region fürsorglich um die Bourbakis kümmerte. Alles, was er an französischen Büchern in der hauseigenen Bibliothek finden konnte, verschenkte er an die in der Kaserne Liestal Internierten. Zusätzlich organisierte er Tabak und Zigarren. Er war es auch, der die Traueranzeigen an die Hinterbliebenen der in Liestal verstorbenen Soldaten schrieb.
Von den insgesamt 1700 verstorbenen französischen Soldaten konnten 31 aus der Region den Heimweg nicht antreten. Für die in Liestal an Typhus Erlegenen entwarf Birmann das Denkmal, das bis heute auf dem Friedhof des Baselbieter Kantonshauptorts zu sehen ist.
Auch Basel hat ein Mahnmal, das an diese Zeit erinnert. Im Nordosten des Kannenfeldparks steht das «Monument aux morts», dort, wo die Gräber der französischen Soldaten lagen. Laut historischen Berichten waren diese Gräber damals mit Kanonenkugeln bestückt. Noch heute gedenken an diesen Orten französische Touristen ihren gefallenen Landsleuten.
Vom Leid geplagt waren nicht nur die Bourbakis, auch die Schweiz wurde im Nachgang in Mitleidenschaft gezogen. Um das Wohlergehen der Truppe sicherzustellen, führte die französische Armee grosse Ochsenherden mit sich. Da die Tiere aus Kostengründen in verseuchten Gebieten der Ukraine gekauft worden waren, breitete sich die Rinderpest in Mittel- und Westeuropa und somit auch in der Schweiz aus. Es war der letzte dokumentierte Ausbruch der Rinderpest in der Schweiz.
Dank der geradlinigen Seuchenbekämpfung schaffte es das Team um Oberpferdearzt Rudolf Zangger, diese in Grenzen zu halten. Der Ankunftsort Les Verrières wurde abgesperrt und die infizierten Tiere wurden geschlachtet. Ohne diesen Einsatz der Schweizer Armee, die zur Grenzsicherung aufgeboten worden war, hätte sich die Pest schnell im ganzen Land verbreitet.
Nach dem Krieg hätte der Dank der Franzosen an die Schweiz nicht grösser sein können. Abertausende von Dankesbriefen und viele Denkmäler zeugen von einer grossen Wertschätzung der Taten. Auch der französische Künstler Edouard Castres zeigte seine Dankbarkeit in Form eines 1881 angefertigten Rundbilds mit dem Namen «Bourbaki Panorama». Unterstützung beim Ölgemälde hatte er unter anderem von Ferdinand Hodler.
Im Zuge des 150-Jahr-Jubiläums der Internierung der Bourbaki-Soldaten lädt das Bourbaki Panorama in Luzern zur Jubilarsausstellung. Diese läuft unter dem Namen «Solidarität überschreitet Grenzen» seit 11. Mai.