Auch die Aargauer Gastro- und Clubszene stellt sich auf den teilweise veränderten Konsum beim Trinken ein.

«Kling», «Kling», «Kling». So wird es an Silvester um Mitternacht in vielen Stuben, Beizen und auf Balkons tönen. Kurz davor sprudelt es in den Kristallgläsern, die aufgefüllt werden. Nach dem obligaten herunterzählen wird auf den ersten Glockenschlag angestossen und ein schönes neues Jahr gewünscht. Der Inhalt der Gläser ist des Neujahr-Feierndens Go-to-Getränk: Prosecco, Cüpli, Sekt oder welchen Namen man auch immer für die klebrige Spirituose übrig hat.

Doch immer mehr Menschen greifen zu einer alkoholfreien Variante. Wie bekommt die Aargauer Gastro- und Clublandschaft diesen Trend mit?

Bruno Lustenberger, Präsident von Gastro Aargau ist ein bewussteres Verhalten im Umgang mit dem Alkoholkonsum aufgefallen: «Vor allem Junglenker, die auswärts essen und trinken gehen, halten sich ausgesprochen gut daran und konsumieren im Restaurant keinen Alkohol.»

Für die Gastrobetriebe bedeutet dies aber auch weniger Einnahmen, ist doch das Geschäft mit dem Alkohol eines der lukrativsten. Auf der einen Seite habe er natürlich grösstes Verständnis für den Entscheid zur Alkoholabstinenz, andererseits sei es aber ein Geschäft, von dem viele Betriebe abhängig seien, so Lustenberger. Die Empfehlung vieler Wirte deswegen: Lieber ein paar Gläser von einem qualitativ hochstehenderen Wein, anstatt eine Flasche billigen zu bestellen.

Clubs plädieren für kontrolliertes Trinken

Den Trend alkoholfreier Getränke kenne man in der Gastronomie aber nicht erst seit gestern. «Die Betriebe haben bereits seit langer Zeit alkoholfreie Biere im Angebot», sagt Lustenberger. Die Palette sei aber um einiges breiter geworden. «Neben den alkoholfreien Cocktails und den Softdrinks ist die Auswahl an Säften um einiges grösser geworden.» Früher seien nur Orangen- und Tomatensaft auf der Karte gestanden, dies sei nun um einiges reicher geworden.

Dano Dreyer von der Henry’s Bar in Baden beobachtet auch, dass die Menschen, die Auto fahren, keinen Alkohol konsumieren. «Erfreulicherweise setzt sich das immer wie mehr durch.» Auch er sieht den gesundheitlichen Aspekt daran, findet aber gleichzeitig: «Wenn niemand mehr trinken würde, dann ist unser Gewerbe hinfällig und wir wären alle immer um 22 Uhr im Bett.» Wie Lustenberger plädiert auch Dreyer für den kontrollierten Konsum in Gesellschaft. In seiner Bar falle es ihm aber weniger auf, dass die Menschen nicht mehr so viel Alkohol trinken. Der Rhythmus habe sich dafür verändert. «Früher hatten wir unter der Woche noch Feste.» Heute seien die Gäste von Montag bis Donnerstag eher auf den Job und den gesunden Lebensstil fokussiert. Dafür habe sich das meiste auf das Wochenende verschoben. «Unter der Woche verkaufen wir weniger Spirituosen, da genehmigen sich die Gäste lieber ein Bier.» Am Wochenende würden sie sich dann für das Erreichte belohnen.

Weniger Softgetränke zum Alkohol

Auch in Henry’s Bar gibt es analkoholische Getränke. Diese seien aber schon lange Bestandteil der Karte und nicht einem Trend angepasst. An Silvester habe man wie gewohnt geöffnet, spezielle Getränke oder Menüs seien nicht geplant. «Ich bin kein Fan von kostenpflichtigen, speziellen Anlässen bei uns. Für uns ist es ein normaler Samstag im ‹Henry’s›», sagt Dreyer.

Im «Boiler» in Aarau sei vom Trend kaum etwas zu merken, sagt Geschäftsführer Michael Ganz. «Die Menschen, die nicht trinken, gehen oftmals erst gar nicht in den Ausgang oder sie trinken nur ein Softgetränk», sagt er. Der bewusste Umgang ist auch für ihn ein wichtiges Thema. Gleichzeitig betont er aber, dass das Clubleben vom Alkohol geprägt sei. «Wir haben ein paar alkoholfreie Drinks und Biere und Softgetränke im Angebot.» Dieses werde aber selten beansprucht.

Ganz ist aber ein neuer Umgang mit den Mischgetränken aufgefallen. «Die Gäste verzichten immer mehr auf Softgetränke zum Alkohol.» Hoch im Kurs seien Shots, also der pure Alkohol, Mate und kohlensäurehaltiges Mineralwasser als Mischgetränke.

Spezielle alkoholfreie Drinks oder Cüpli sind auch im «Boiler» an Silvester nicht angedacht. «Das liegt aber auch daran, dass wir erst nach Mitternacht öffnen und die Leute dann bereits angestossen haben», sagt Ganz.

«Viele fühlen sich vom Alkohol abhängig, aber nicht als Alkoholiker»

 

Expertin Maria Brehmer, Alkoholfrei-Coach und Journalistin bei CH Media, ist seit zwei Jahren komplett abstinent. «Ich habe gemerkt, dass mir der Alkohol mehr nimmt, als er mir an momentanen Glücksgefühlen gibt.» Seither fühlt sie sich viel freier, sagt sie, «weil ich jederzeit das tun kann, wonach mir ist, ohne mir vom Alkohol irgendetwas diktieren zu lassen.»

Dass es einen Trend hin zum alkoholfreieren Leben gibt, spürt sie vor allem an den Coaching-Anfragen: «Schon bevor ich den Entscheid zur Abstinenz getroffen habe, habe ich eine Ausbildung als Coach angefangen. Als ich dann mit der Selbstständigkeit anfing, ergab sich meine Nische, Menschen auf ihrem Weg in ein Leben zu begleiten, wie von selbst – und die Nachfrage war sofort sehr gross.»

Denn viele Menschen, die sich vom Alkohol abhängig fühlen, sich aber nicht als Alkoholikerin oder Alkoholiker verstehen, konnten sich mit Maria Brehmer und ihrer Geschichte identifizieren. Unterdessen arbeitet sie über 80 Prozent als Alkoholfrei-Coach. Und auch die Medienanfragen werden immer häufiger. Es gebe nicht den einen Weg zur Abstinenz, sagt Maria Brehmer. «Oftmals sind die Gründe tiefgreifend, die einen Menschen in der Abhängigkeit landen lassen. Weil Alkohol so schnell wirkt, wenn es einem nicht gut geht, ist er so beliebt, aber eben auch sehr gefährlich.» Darum gelte es, diese Gründe zu eruieren und eine Möglichkeit zu suchen, diese ohne zu Alkohol verarbeiten. «Man muss neu erlernen, sich selbst regulieren zu können – ohne die trügerische Hilfe des Alkohols.» Alkoholsucht werde immer noch stigmatisiert, stellt Maria Brehmer fest. Es müsse das Ziel sein, dass sich die Menschen mehr trauen, darüber zu sprechen, und sich auch die öffentliche Plattform für Menschen mit Alkoholabhängigkeit vergrössert. «Niemand schmückt sich gerne mit dem Makel der Alkoholabhängigkeit, dabei ist man ja nicht alleine – es gibt so viele, denen Alkohol Probleme verursacht», sagt Brehmer.

Sie fühle sich noch oft immer ratlos zurückgelassen, wenn sie in Restaurants nach alkoholfreien Getränken für Erwachsene suche. Da sei noch viel Luft nach oben. Auch mit der Absatzförderung für Schweizer Weine ist sie nicht einverstanden. «Wieso sollen die Steuerzahler für eine Substanz aufkommen, die jedes Jahr in der Schweiz für Hunderte von Toten verantwortlich ist?» Dennoch habe sich viel getan auf dem Getränkemarkt, mittlerweile gebe es für Drinks und Biere viele alkoholfreie Alternativen.

Sie stellt sich aber klar gegen ein allgemeines Alkoholverbot. «Es gibt genug Menschen, die einen bewussten Umgang mit dem Alkohol pflegen.» Mit einem Werbeverbot könnte man ihm aber an Bedeutung nehmen, zeigen, dass er nicht unbedingt ein so grosser Teil der Gesellschaft sein muss.

«Die Macht des Alkohols ist in der Gesellschaft noch zu gross»

Mit dem Thema Alkohol beschäftigen sich mit EVP-Nationalrätin Lilian Studer und Alkoholfrei-Coach Maria Brehmer zwei Expertinnen aus der Region. Studer, die Fälle von Alkoholabhängigkeit in ihrem Umfeld kennt, sagt: «Der Alkohol erfährt in unserer Gesellschaft eine grosse Akzeptanz. Es ist fast schon zur Kultur verkommen.» Sie selber trinkt nur zum Anstossen zwischendurch ein Glas, verzichtet sonst bewusst auf Alkohol. Als Nationalrätin und ehemalige Geschäftsführerin des «Blauen Kreuzes» Aargau/Luzern ist sie regelmässig mit der Thematik konfrontiert.

Mit den durchgeführten Testkäufen in den Läden sei man mit der Regulierung fortgeschritten, Probleme würde nach wie vor der Onlinehandel darstellen. «Dort kommt man problemlos an Alkohol, ohne sich gross ausweisen zu müssen.»

Zudem sei es für sie schwierig, dass die Motion zur Absatzförderung für Schweizer Weine im Parlament durchgekommen ist, für die Präventionsförderung im Gegensatz aber weniger Gelder übrig sind. Dass diesem Thema gegenüber aber alle Menschen anders eingestellt sind, zeige diese Abstimmung. Diese Abstimmung würde auch zeigen, wie unterschiedlich die Einstellungen der Menschen zu diesem Thema seien. «Praktisch keine Fraktion im Parlament hat geschlossen dafür oder dagegen gestimmt.» Regionaler und wirtschaftlicher Einfluss würden hier eine Rolle spielen. «Die Machtposition des Alkohols in unserer Gesellschaft wird hierbei klar ersichtlich.» Sie sieht einen Trend, hofft aber auch, dass zum Beispiel Produktionsfirmen und Gastro-Unternehmen vermehrt auf den Alkoholfrei-Zug aufspringen. Die Restaurants seien mit dem alkoholfreien Angebot mittlerweile zwar breiter aufgestellt, dennoch gäbe es noch Nachholbedarf.

Einen Ansatz sieht sie in der Apéro-Kultur. «Dort ist es normal, dass Wein, Bier, Wasser und Orangensaft serviert werden. Etwas mehr Abwechslung würde guttun.» So würden zum Beispiel Drinks der Blue Cocktail Bar, der alkoholfreien Bar des «Blauen Kreuzes», auf gute Resonanzen stossen.

Denn Menschen, die auf Alkohol verzichten, weil sie vielleicht keine Lust auf die Nachwehen oder ein Problem haben, würden oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Dies würde mit einem reichhaltigeren Angebot weniger passieren. «Mittlerweile hat aber auch der ‹Dry January›, der zum dritten Mal stattfindet, eine Vorreiterrolle eingenommen.» Auch Medienberichte und die erfolgreiche Migros-Alkoholfrei-Kampagne haben ihren Teil dazu beigetragen. «Mit steigender Bekanntheit des ‹Dry January› hoffen wir, dass die Menschen bewusster auf den Alkohol verzichten werden.»