Wer Hunger hat und nicht kochen mag, bestellt sich was. Nicolas Stelz von Velogourmet Basel sorgt dafür, dass das Essen warm ankommt.

40 Kilometer! Das ist in etwa die Fahrtdistanz zwischen Basel und Egerkingen. 40 Kilometer legt Nicolas Stelz am Freitagabend während der Arbeit zurück. «Heute war eine eher ruhige Schicht», sagt er. Nicolas Stelz ist Velokurier bei Velogourmet, einem Basler Essenskurierdienst, und er beliefert die Menschen in und um Basel mit Essen. Die Arbeit bei Velogourmet ist auf verschiedene Posten aufgeteilt. In der Zentrale an der Austrasse 120 arbeiten an diesem Abend eine Telefonistin und eine Disponentin. Die Telefonistin kümmert sich um die eingehenden Essensbestellungen, während die Disponentin die ganzen Aufträge koordiniert. «Zu Spitzenzeiten während der Coronapandemie benötigten wir gar zwei Telefonisten», sagt Stelz. Kuriere sind an diesem Abend zehn im Einsatz. Velogourmet lässt seine Kuriere täglich zu zwei verschiedenen Zeiten fahren. Die erste Schicht ist mittags, die zweite, wenn sich die Baslerinnen und Basler ein gutes Nachtessen genehmigen wollen, ohne selbst den Kochherd anzuschmeissen.

Um 17.30 Uhr ist Start der Abendschicht. Die Kuriere treffen in der Zentrale ein und beginnen mit den letzten Vorbereitungen. Ein bisschen Small Talk, Kontrolle des Materials und Einsicht der ersten Abhol- und Lieferorte. Vor allem das Wetter ist ein allgegenwärtiges Thema, hat es doch bis vor einer halben Stunde noch Bindfäden geregnet. Stelz fährt in kurzer Hose und Regenjacke: «Im Moment ist es zwar trocken, doch die Prognosen waren in den letzten Tagen eher unbeständig.» Kurz vor der Abfahrt gesellt sich Velogourmet-Inhaber Joost Oerlemans hinzu und meint augenzwinkernd: «Wir haben euch extra den langsamsten Fahrer zur Seite gestellt.» Dass dies nicht der Fall ist, zeigt sich schon auf den ersten Metern. Stelz, der seit 2017 als Velokurier tätig ist, gibt ein schnelles Tempo vor. Und so jagen wir einen Abend lang durch Basel.

Pleiten Pech und Pannen – oder: der Vorführeffekt

Das erste Ziel ist bei Stelz zu Hause. «Dann kann ich mein Portemonnaie noch holen und die Regenjacke ablegen.» Denn mittlerweile zeigt sich sogar die Abendsonne, und das Wetter bietet sich für eine Outfit-Erleichterung an. Im pink-schwarzen Kurzarmtrikot von Velogourmet geht es weiter zur Post, um Wechselgeld zu besorgen. Doch an einem Freitag-Feierabend kann Stelz nicht einfach so zum Schalter laufen, sondern muss sich hinter 20 Leuten anstellen. Rastlos läuft er in der Filiale umher und gibt Hinweise auf das, was er später auflöst: «Ich warte nicht gerne», erzählt Stelz.

Doch im Warten muss sich der Kurier am ersten Abholort weiter erproben. Das Restaurant scheint geschlossen, weder am Haupt- noch am Hintereingang reagiert irgendwer. Nervös macht es ihn dennoch nicht. «Unsere Kunden wissen, um welche Zeit die Restaurants öffnen. In diesem Fall beträgt die angegebene Lieferzeit 40 bis 60 Minuten, wir sind also noch voll im Plan.» Nach zehn Minuten kommt Bewegung ins Lokal, als Stelz eintritt, ist aber noch nichts vorbereitet. «Können wir die Bestellung stornieren?», fragt eine sichtlich gestresste Mitarbeiterin des Restaurants. «Das hättest du uns früher sagen müssen, die Kunden warten auf ihr Essen», entgegnet Stelz. 15 Minuten später ist das Gericht aber zubereitet und lieferfertig. «Wir haben dieses Restaurant jetzt für den heutigen Abend aus der App genommen, denn sie haben keine Kapazität.» Stelz muss lachen: «Das war ja klar. Da werde ich einmal von der Zeitung begleitet, und die Schicht startet mit Pleiten, Pech und Pannen. Wenn das mal nicht der Vorführeffekt ist.»

Dass eine solche Schicht auch ganz anders laufen kann, kristallisiert sich im weiteren Verlauf des Abends heraus. Nachdem die erste Lieferung in Binningen abgeladen wurde, geht es schnurstracks zum nächsten Restaurant in der Belchenstrasse. Dass das Essen dort auch noch nicht bereit ist, passt zwar zum bisherigen Verlauf, doch Stelz ist sich solche Planänderungen gewöhnt. «Also auf ins nächste Restaurant, wir gehen danach nochmals hier vorbei. Es müssen eh beide Bestellungen ins Gundeli.» So geht die temporeiche Fahrt weiter ins Restaurant Nón Lá an der Schützenmattstrasse. Stelz geht rein, kommt kurz darauf mit der Bestellung wieder raus und meint grinsend: «So hab ich es gerne.» Via Belchenstrasse, wo das Essen mittlerweile auch bereit ist, führt der Weg nun ins Gundeli. Wie immer macht er sich vor der Abfahrt in Gedanken eine Route, ein Navi braucht er nicht. In diesem Fall gäbe es zwei Optionen. Einerseits wäre der Weg über den Dorenbachkreisel eine Möglichkeit. Die zweite Route sei direkter, führe aber den Erdbeergraben hinauf. «Da absolvieren wir noch Höhenmeter. Ich entscheide mich während der Fahrt», meint der Velokurier. Die Wahl fällt auf den Erdbeergraben. Stelz fährt diesen mit einer beneidenswerten Lockerheit hinauf, nicht mal aus dem Sattel steigen muss er.

Wenns funktioniert, vergeht die Zeit wie im Flug

Mittlerweile ist es ein warmer Sommerabend, der Durst lässt deshalb auch nicht auf sich warten. Gekonnt zieht Stelz während der Fahrt die Wasserflasche aus seiner grossen Tasche und lässt sie wieder verschwinden. «Aufgrund der Pandemie-Situation haben wir erst seit kurzem grössere Rucksäcke», erzählt er. In dieser Zeit seien viele Restaurants auf Take-away umgestiegen und haben begonnen, ihr Essen mit Velogourmet auszuliefern. Grosse Pizzakartons hätten keinen Platz gehabt, deshalb der Wechsel.

Was auch eher neu ist, ist die App, mit der die Kuriere mit der Zentrale in Verbindung stehen. «Das läuft nun seit einem Jahr, zuvor waren wir mit einer browserbasierten Version unterwegs.» Entwickelt wurde diese von Velogourmet-Inhaber Joost Oerlemans, und sie wird bereits schweizweit von Kurierzentralen genutzt.

Der Kontakt zur Zentrale ist essenziell, gibt sie dem Kurier seine nächsten Standorte durch. «Die Disponenten schauen, wo sich der Kurier gerade aufhält, und geben ihm einen Auftrag in der Nähe.» Auch für Fragen seitens der Kuriere muss die Disposition erreichbar sein. Als Stelz an der Hegenheimerstrasse eine Lieferung einkassiert, fällt ihm auf, dass die App ihn nicht nach einer Twint-Zahlung gefragt hat. Anruf auf die Zentrale: «Am Montag wurde ich noch gefragt, jetzt nicht mehr. Also, ich gebe dir alle bisherigen Twint-Zahlungen durch.» Stelz meint: «Man merkt, dass das Ganze noch etwas in den Kinderschuhen ist.»

Nun trudeln die Bestellungen nur so rein, und der Kurier begibt sich auf eine Innerstadt-St.-Johann-Tour. Essen holen im «Dio Mio» beim Theater und im «Tapas del Mar», wo ab und zu ein Auge in puncto Verkehrsregeln zugedrückt wird, dann wieder ins St.Johann, wo die hungrigen Menschen warten. Die nächsten Stationen: das Restaurant Pinar in der Herbergsgasse und die «Negishi»-Küche für Kurierdienste in der Stadthausgasse. Dort tummeln sich die Kuriere an einem für sie eingerichteten Tisch und verbringen ihre Wartezeit. Via Gellert geht es ins Kleinbasel, um die letzten Bestellungen abzuwickeln.

Es ist schon 21.30 Uhr, die Zeit ist wie im Flug vergangen. «Nach 21.30 Uhr nehmen wir keine Bestellungen mehr entgegen, denn die meisten Küchen schliessen um 22 Uhr», sagt Stelz. Der letzte Halt an diesem Abend ist ein Lebensmittelladen. Stelz deckt sich mit Bier für sich und seine Mitarbeiter ein. «Das Beisammensein nach der Arbeit ist ein wichtiges Ritual bei uns.»